Verjährungsfristen
im Arzthaftungsrecht nach der Neuregelung ab 01.01.2002
Von RA Jürgen Korioth www.korioth.de
Im Folgenden
soll aus der Sicht des Patientenanwaltes geprüft werden,
welche Änderungen sich nach der Neuregelung ab 01.01.2002
bezüglich der Verjährung von Schadensersatzansprüchen
aufgrund von Behandlungsfehlern ergeben. Dabei wird bewußt
so formuliert, daß auch ein juristischer Laie dies verstehen
kann. Vorweg und grundsätzlich muß gesagt werden, dass
gerade im Arzthaftungsrecht Opfer von Behandlungsfehlern keine
bösen Überraschungen zu gegenwärtigen
haben.
1. Deliktische
Ansprüche (z. B. Schmerzensgeld)
Die jetzige Regelung ist im Bereich deliktischer Ansprüche
für den Geschädigten sogar vorteilhafter, weil ab Beginn
der Verjährungsfrist nicht mehr taggenau in drei Jahren der
Anspruch verjährt, sondern mit Ende des Jahres indem die
Verjährungsfrist beginnt.
Entscheidend ist die Frage, wann die Verjährung beginnt.
Die Voraussetzungen für den Verjährungsbeginn sind aber
inhaltlich gleich geblieben. Früher wie heute ist das so,
daß der Patient positive Kenntnis von Behandlungsfehlern
haben muss, um die Verjährungsfrist beginnen zu lassen. Um
diese Kenntnis zu haben, muss er nicht nur die wesentlichen Umstände
des Behandlungsverlaufs kennen, sondern auch Kenntnis von solchen
Tatsachen erlangen, aus denen sich für ihn als medizinischen
Laien ergibt, daß der behandelnde Arzt von dem üblichen
ärztlichen Vorgehen abgewichen ist oder Maßnahmen nicht
getroffen hat, die nach dem ärztlichen Standart zur Vermeidung
oder Beherrschung von Komplikationen erforderlich waren. Eine
solche Kenntnis ergibt sich nicht bereits daraus, dass aus den
aufgetretenen Komplikationen auf einen Behandlungsfehler hätte
geschlossen werden müssen. Sogar der Hinweis eines Arztes
auf nur mögliche Schadensursachen vermittelt noch keine Kenntnis
der anspruchsbegründeten Tatsachen.
Eltern geburtsgeschädigter Kinder können zum Beispiel
in der Regel keine Kenntnis davon haben, wie ein CTG zu bewerten
ist. Sie wissen nicht, wann eine solche kardiotokographische Aufzeichnung,
die regelhaft bei Geburten läuft, so hinweisend für
einen Sauerstoffmangel des Kindes ist, so dass ärztliche
Aktivitäten erforderlich sind. Sie wissen nicht, ob die schwere
Geburt, die vaginaloperativ beendet wird, behandlungsfehlerhaft
war oder nicht. Häufig kommen Eltern erst durch den Kontakt
mit anderen Eltern, die ein geschädigtes Kind zu beklagen
haben, überhaupt auf die Idee, dass die Schäden des
Kindes nicht schicksalhaft sind, sondern arztverschuldet. In aller
Regel beginnt dann auch erst die Recherche. Es werden Behandlungsunterlagen
angefordert, diese werden sachkundig beurteilt, Ansprüche
werden angemeldet. Es würde hier zu weit führen, sämtliche
Möglichkeiten und Alternativen der Kenntniserlangung im Einzelnen
aufzuführen. Sicher ist aber, dass diese Prüfung sorgfältig
vorgenommen werden muß und das kann in aller Regel nur der
Anwalt, der im Einzelnen abschätzen muss, ob mit Sicherheit
dieses subjektive Merkmal der Kenntniserlangung anhand der objektivierbaren
Umstände vorliegt oder nicht. Wenn dann aber aus den Krankenunterlagen
eindeutig hervorgeht, dass notwendige Maßnahmen nicht getroffen
wurden oder zu spät, demnach die Umstände des Behandlungsverlaufs
bekannt werden, dann muss man von einer solchen positiven Kenntnis
ausgehen. Damit beginnt die Verjährung. Der positiven Kenntnis
wird die Situation gleichgestellt, wenn der Patient oder sein
gesetzlicher Vertreter gleichsam auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeiten
nicht wahrnimmt und letztlich das sich Berufen auf die Unkenntnis
als Förmelei erscheint, weil jeder andere in der Lage des
Geschädigten unter den selben konkreten Umständen die
Kenntnis gehabt hätte (z.B. BGH VersR 96, Seite 1258).
Das, was also früher von der Rechtsprechung gefordert wurde
und nicht im Gesetz stand, steht heute im Gesetz und zwar wie
folgt:
Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt mit dem
Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der
Gläubiger von den den Anspruch begründeten Umständen
und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe
Fahrlässigkeit erlangen müßte (§ 199 Abs.
1 BGB neue Fassung).
Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die im Verkehr erforderliche
Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße verletzt
worden ist, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt
oder beiseite geschoben wurden und Dasjenige unbeachtet geblieben
ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen.
Der Vergleich der Formulierungen zeigt, dass hier keine wesentlichen
Unterschiede zu verzeichnen sind, so dass es im Wesentlichen bei
der Beurteilung des Beginns der Verjährung bei den alten
Prüfungsfragen verbleibt.
Sind solchermaßen deliktische Ansprüche also nicht
verjährt, kann der Verletzte Schadensersatz in Form von immateriellen
Ansprüchen (Schmerzensgeld) und Ersatz des gesamten sonstigen
materiellen Schadens (Mehrbedarfsrente, Einzelposition wie Haus,
KFZ, Verdienstendgang etc.) geltend machen.
Wichtig zu wissen ist, dass nicht der Patient beweisen muss, dass
er die für den Verjährungsbeginn erforderliche Kenntnis
hat, sondern, da die Verjährung eine sogenannte Einrede ist,
der Schuldner, der sich auf den Verjährungseintritt beruft,
die Kenntnis oder die grob fahrlässige Unkenntnis des Patienten
beweisen muss. Dies ist für den Arzt oder das Krankenhaus
misslich, da insofern Umstände darzulegen und zu beweisen
sind, welche in der Sphäre des Patienten liegen. Dies war
nach altem Recht so und ist nach neuem Recht genauso.
Nach wie vor ist die Verjährungshöchstfrist dreißig
Jahre. Wenn also ein Behandlungsfehleropfer z.B. erst -und nichtwiderlegbar-
29 Jahre nach der konkreten Behandlung subjektive Kenntnis des
Behandlungsfehlers -wie auch immer- erlangt hat, endet diese absolute
Verjahrungsfrist dann genau ein Jahr danach. Über die absolute
Verjahrungsfrist von 30 Jahren geht nichts mehr.
2. Altfälle
Auf Altfälle, also Schadensereignisse vor dem 01.01.2002,
finden Übergangsregeln Anwendung, die im Einführungsgesetz
zum BGB in Artikel 229 § 6 geregelt sind.
Für den hier interessierenden Bereich der Arzthaftung ist
bezüglich deliktischer Ansprüche lediglich anzumerken,
dass nicht etwa der Verjährungsbeginn mit Ende des Jahres,
in dem die Voraussetzungen für den Beginn der Verjährung
vorliegen, beginnt, sondern es bleibt dabei, dass die Verjährung
mit dem Tag beginnt, an dem die erforderliche Kenntnis - wie oben
besprochen - vorliegt. Es bleibt dann auch bei der taggenauen
Verjährung, so dass Ansprüche, wo die Verjährung
am 01.10.1999 beginnt, mit Ablauf des 01.10.2002 verjähren.
Nach neuem Recht ist es so, wie oben besprochen, dass regelmäßiger
Verjährungsbeginn der Schluss des Jahres ist, in dem der
Patient Kenntnis vom Behandlungsfehler hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit
hätte erlangen müssen.
Im Wesentlichen ist es auch nach wie vor so, dass bestimmte Umstände
dazu führen, dass während des Laufes der Verjährung
diese gehemmt wird. Bei delikischen Ansprüchen war die Verjährung
schon immer gehemmt, wenn Verhandlungen zwischen den Parteien
stattgefunden haben. Der Begriff der Verhandlung wurde schon immer
von der Rechtsprechung weit gefaßt. Diese Regelung gilt
an anderer Stelle des Gesetzes und zwar im § 203 BGB nun
fort. Verweigert eine Partei weitere Verhandlungen, dann beginnt
die Verjährung frühestens drei Monate nach dem Ende
der Hemmung. Weitere Hemmungstatbestände sind im § 204
BGB geregelt. Diese entsprechen im Wesentlichen auch dem alten
Recht. Mit dem Unterschied, dass eine Unterbrechung der Verjährung
durch eine Hemmung der Verjährung ersetzt wird. Dies ist
im Ergebnis für arzthaftungsrechtliche Ansprüche aber
irrelevant. Für den Juristen sind natürlich eine Reihe
prozessualer Besonderheiten von Bedeutung, die aber hier nicht
diskutiert werden müssen, da in aller Regel spätestens
dann, wenn der Patient die erforderliche Kenntnis von Behandlungsfehler
hat, er diese Kenntnis auch umsetzt und zwar in Form der Mandatierung
eines Anwaltes oder aber er wendet sich an Patientenschutzorganisationen
oder aber, wie es in seltenen Fällen auch vorkommt, er wendet
sich an das Krankenhaus bzw. den Arzt selbst und korrespondiert
insofern dann mit der Haftpflichtversicherung. Sobald mit der
Haftpflichtversicherung korrespondiert wird, der Anspruch geltend
gemacht wird und insofern die Haftpflichtversicherung nicht von
vorne herein jeden Schadensersatzanspruch ablehnt, sondern in
Ermittlungen eintritt, ist die Verjährung gehemmt. Die Besonderheiten,
die nach Beginn der Verjährung und Geltendmachung des Anspruchs
bei anwaltlicher Bearbeitung zu beachten sind, brauchen den Patienten
im Grunde nicht zu interessieren. Macht der Anwalt hier Fehler,
dann kann der Anwalt eben wegen Nichtbeachtung relevanter Verjährungsvorschriften,
die zum Anspruchsverlust führen, vom Patienten bez. Mandanten
genauso wie der Arzt in Regreß genommen werden und zwar
mit den gleichen schadensersatzrechtlichen Inhalten wie bei den
Direktansprüchen.
Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, daß Patientenschutzorganisationen,
die im Auftrag ihrer Mitglieder Krankenunterlagen anfordern, diese
auswerten und aufgrund ihrer spezifischen Sach- und Fachkunde
eher in der Lage sind als der medizinische Laie Behandlungsfehler
zu erkennen sich bezüglich der Verjährungsvorschriften
an den gleichen Maßstäben messen lassen müssen
wie ein Anwalt. Zumindest sind an solche Organisationen höhere
Anforderungen an die Möglichkeiten zur Kenntniserlangung
zu stellen als bei einem betroffenen Patienten.
Es ist nicht Intention dieses kleinen Beitrages alle Facetten
der für das Arzthaftungsrecht relevanten Verjährungsprobleme
aufzurollen. Der Patient muß sich nur merken, daß
er, wenn er durch eigene Sachkunde oder durch andere Umstände
Kenntnis von einem Behandlungsfehler hat, er möglichst zeitnah
sich anwaltlich beraten lassen sollte. Egal ob nach altem oder
neuen Recht sollte er sich nach diesseitiger Auffassung umgehend
an eine Patientenschutzorganisation oder eine Anwaltskanzlei wenden,
um seine Ansprüche anwaltlich prüfen zu lassen. Der
Anwalt muß von Berufswegen pflichtgemäß dafür
sorgen, daß die Ansprüche nicht verjähren soweit
sie bei Mandatierung nicht bereits verjährt sind.
3. Vertragliche Ansprüche
Schadensersatz wegen ärztlicher Behandlungsfehler kann man
auch auf grund vertraglicher Ansprüche geltend machen (Schlechterfüllung
des Arzt-Behandlungsvertrages). Allerdings gibt es hier kein Schmerzensgeld.
Vertragliche Ansprüche unterliegen nun aber nach neuem Recht
auch der dreijährigen Verjährung. Die regelmäßige
Verjährungsfrist deliktischer und vertraglicher Ansprüche
ist somit gleich geregelt. Gleich geregelt ist auch der subjektive
Moment des Verjährungsbeginns. Hier gilt für vertragliche
Ansprüche das Gleiche, wie für die oben diskutierten
deliktischen Ansprüche.
Hin und wieder kam es vor, daß Eltern aufgrund welcher Umstände
auch immer zwar wußten das ein Behandlungsfehler vorlag,
Schadensersatzansprüche dieserhalb aber erst nach fünf
sechs oder sieben Jahren geltend gemacht haben. Zu diesem Zeitpunkt
waren deliktische Ansprüche verjährt (drei Jahre). Die
regelmäßige vertragliche Verjährungsfrist betrug
aber dreißig Jahre, so dass zumindest die materiellen Ansprüche
auch noch später durchgesetzt werden konnten. Diese Möglichkeit
besteht jetzt nicht mehr. Dafür ist aber das subjektive Kriterium
der Kenntniserlangung hinzu getreten. Früher begann die Verjährung
vertraglicher Ansprüche mit der Vertragsverletzung, also
dem Behandlungsfehler. Heute beginnen auch vertragliche Ansprüche
erst wie auch deliktische Ansprüche mit Kenntniserlangung
vom Behandlungsfehler.
Für den Betroffenen hat sich insofern also eine Verschlechterung
ergeben. Aus der Praxis ist es aber selten, dass lediglich aufgrund
vertraglicher Haftung Direktansprüche eingefordert werden,
weil deliktische Ansprüche mit Sicherheit wegen schon jahrelang
vorbestehender Kenntnis verjährt waren.
In unserer Praxis hatten wir bisher keinen Fall, in dem mit Sicherheit
deliktische Ansprüche verjährt waren (Kenntnis vom Behandlungsfehler
lag schon jahrelang vor, Ansprüche wurden aber nicht geltend
gemacht) und die Sache dann allein auf vertraglicher Basis reguliert
wurde. Wir haben hier 2 Fälle, wo letztlich aber auch Schmerzensgeld
gezahlt wurde, weil Kenntniserlangung nicht vor dem 25. Lebensjahr
anzunehmen war.
4. Zusammenfassung
Nach neuem Recht ist nun auch die vertragliche Verjährung
der deliktischen Verjährung angepasst. Sowohl vertragliche,
als auch deliktische Ansprüche unterliegen nun der regelmäßigen
Verjährungsfrist von 3 Jahren ab Kenntnis vom Anspruchsgrund
oder grob fahrlässiger Unkenntnis. Die Überleitungsvorschrift
zum Verjährungsrecht bestimmt für Altfälle:
Grundsätzlich finden die Vorschriften über die Verjährung
in der seit dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung Anwendung. Auf
Ansprüche, die zu diesem Tag bestehen und noch nicht verjährt
sind. Der Beginn der Verjährung bemisst sich bei Altfälle
nach dem vor dem 01. Januar 2002 geltenden Recht. Soweit nach
altem Recht. Soweit nach altem Recht Unterbrechung der Verjährung
eingetreten ist, sind diese ab 01. Januar 2002 gehemmt. Ist die
Verjährungsfrist nach neuem Recht kürzer, als nach altem
Recht, so wird die kürzere Frist von dem 01. Januar 2002
an berechnet. Für vertragliche Ansprüche bedeutet dies,
dass bei unterstellter Kenntnis vom Behandlungsfehler vertragliche
Ansprüche spätestens am 31.12.2004 verjähren. Läuft
jedoch nach altem Recht die Frist bereits bis zum 31.12.2001 ab,
so verbleibt es dabei. Das heißt, dass sich nach neuem Recht
alte Fristen, die bereits abgelaufen sind, nicht verlängern.
Der Unterzeichner steht gerne für Nachfragen und vertiefende
Erläuterungen auch telefonisch zur Verfügung. Natürlich
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